Er heißt Daniel Lugo, und er glaubt an Fitness. Körperliche Ertüchtigung ist für ihn eine patriotische Pflicht, der Aufbau von Muskelmasse sozusagen die Verkörperung des amerikanischen Traums. Er sagt: „Wenn du bereit bist, die Arbeit zu erledigen, kannst du alles erreichen. Das macht die USA so großartig!“ Setze dir ein Ziel und gib niemals auf! Streng dich an! Wenn dir einer im Weg steht, dann du selbst!
Daniel Lugo sieht es so: Entweder du bist ein Macher oder ein Zauderer. Ungünstige Körperfettwerte sind ein Ausdruck von Verwahrlosung und unbedingt zu vermeiden. Wir sind alle gleich geboren und haben die gleichen Möglichkeiten. Wer es nicht bis nach ganz nach oben schafft, ist selbst schuld.
Daniel ist ein Gewinner: Er hat sich mit ungezählten Trainingseinheiten optimal gestählt. Er ist einer der beliebtesten Personal Trainer Miamis, sein Einsatz und seine Kompetenz haben eine defizitäre Muckibude in ein florierendes Unternehmen verwandelt. Ungerechterweise kommen die Erträge aber nie bei ihm an. Wie kann das sein? Daniels amerikanischer Traum klemmt, also hilft er ihm ein wenig auf die Sprünge.
Bay lässt keine haarsträubende Idee aus
„Pain & Gain“ heißt der sensationelle neue Film, der die wahre Geschichte der Sun Gym Gang erzählt, einer Bodybuilder-Bande, die in ihrem Streben nach Luxus Mitte der Neunziger einen reichen Geschäftsmann entführt und nebenbei ein Pärchen umbringt. Die Regie übernahm Michael Bay, der meistgehasste Filmemacher Hollywoods. Man hält seine Werke für testosterongesättigt, unangemessen sexistisch und zu laut.
Wenn es sich anbietet, eine Ladung Sprengstoff explodieren zu lassen, zündet Bay lieber gleich drei. Nie ist er um eine haarsträubende Idee verlegen. Unvergessen, wie er in „Armageddon“ Bruce Willis ein sehr tiefes Loch in einen heranfliegenden Asteroiden bohren lässt, um so das Überleben der Menschheit zu sichern, und in dem Weltkriegsepos „Pearl Harbor“ die Liebesgeschichte zwischen zwei amerikanischen Soldaten und einer Krankenschwester derart seifig inszeniert, dass einem der Angriff der Japaner überfällig vorkommt.
Bay ist wahrscheinlich der beste Regisseur, den man sich für die Geschichte der Bodybuilder-Gangster denken kann, schwungvoll hat er sie als eine Mischung aus Martin Scorseses „Casino“ und Oliver Stones „U-Turn“ angelegt. Sie ist testosterongesättigt, unangemessen sexistisch und zu laut, und zwar schon deshalb, weil Daniel Lugo und seine beiden Komplizen es sind.
Mark Wahlberg – ein großer Komiker
Bei Paul Doyle handelt es sich um einen Ex-Knacki mit einer Schwäche für Kokain, der in der Haft seinen Weg zu Gott gefunden hat. Dwayne „The Rock“ Johnson spielt ihn mit Hundeblick und einer geradezu rührenden Beschränktheit, was spontane Gewaltausbrüche allerdings nicht ausschließt: „Jesus Christus hat mich mit vielen Gaben gesegnet. Eine davon ist, jemanden verdammt noch mal umzuhauen.“ Komplize Nummer zwei ist der von Anthony Mackie gespielte Personal Trainer Adrian Doorbal, der infolge seines ungebremsten Anabolikamissbrauchs unter fiesen Erektionsproblemen leidet. Nichts in der Welt würde ihn dazu bringen, auf sein geliebtes Anabolika zu verzichten.
Natürlich spielt Mark Wahlberg als Daniel Lugo die beiden mühelos an die Wand. Sein Lugo ist ein manipulativer Soziopath, verschlagen, unbedarft, beherzt, feige, protzig und unfassbar dämlich. Weil er ein großartiger Komiker ist, gibt Wahlberg ihn mit dem gebotenen Ernst. Nie macht er sich als Schauspieler über seine Figur lustig, dabei gäbe es dazu ausreichend Gelegenheit. Seine Ausbildung zum Gangster genoss Lugo etwa im Kino: „Vertraut mir“, sagt er seinen zweifelnden Kollegen, „ich habe viele Filme gesehen. Ich weiß, was ich tue.“ Ach so, na dann!
Natürlich geht alles schief. Die Entführung, die Erpressung, selbst die Beseitigung des Opfers. Es wird gefoltert, es gibt ungeplante Todesfälle zwischendurch, das Blut spritzt, Äxte und Kettensägen kommen zum Einsatz. Was zunächst einigermaßen heiter beginnt, verschärft sich mehr und mehr, so dass man bald nicht glauben mag, was man da sieht. „Das ist immer noch eine wahre Geschichte“, erinnert uns der Film dann zwischendurch, zumindest so wahr, dass man mit Sicherheit sagen kann, dass Lugo und Doorbal 1998 zum Tode verurteilt wurden und seither auf die Vollstreckung warten.
Kein einziger Charakter ist liebenswert
Paul Doyle ist hingegen die Summe diverser Figuren, und was das tatsächliche Entführungsopfer Marc Schiller angeht, so hat man ihn aus Rücksicht auf seine Persönlichkeitsrechte in Victor Kershaw umbenannt und dabei aus dem jüdischen Argentinier einen jüdischen Kolumbianer gemacht. Gut für die Argentinier, dumm für alle Kolumbianer und Juden. Der großartige Tony Shalhoub spielt den Entführten so herausragend unsympathisch, dass er den einen wie den anderen ausreichend Gelegenheit bietet, ihn dafür zu hassen.
Überhaupt gibt es in „Pain & Gain“ weit und breit keinen einzigen Charakter, der liebenswert, angenehm oder auch nur halbwegs respektabel wäre. Der Film ist eine Zumutung für jede denkbare Bevölkerungsgruppe und ihre diversen Schnittmengen. Für Schwarze, Weiße und sogar Latinos, schon deshalb, weil in dem Film kein Latino mitspielt, obwohl die Hauptfigur ganz eindeutig ein Latino ist. Der einzige Asiat (Ken Jeong alias Mr. Chow aus „Hangover“) ist ein hinterhältiger Motivationstrainer, der seiner Kundschaft leeres Gerede verkauft, es taucht eine unterbelichtete rumänische Schönheitskönigin auf, die nach Amerika flüchtet und dabei Mexiko mit den USA verwechselt.
Bodybuilder sind sowieso beschränkt, und wer in der Hoffnung auf eine bessere Silhouette ein Fitnessstudio besucht, macht sich in erster Linie lächerlich. Gläubige lügen sich wiederum selbst in die Tasche, katholische Priester sind schwul und Muskelmänner im Grunde auch, nur dass sie es nicht einmal merken. Frauen rüsten sich wiederum zu Erotikwundern hoch, um den Männern zu gefallen, die sich ihrerseits zu Superkerlen hochspritzen und keinen mehr hochkriegen. Und alle, alle verlaufen sie sich in ihrem Streben nach Glück.
Nach diesem Film fühlt man sich schmutzig
Neben Harmony Korines „Spring Breakers“ (leicht bekleidete Teenager greifen zu den Waffen, um eine tolle Party zu finanzieren) und Sofia Coppolas „The Bling Ring“ (Teenager kapern die Villen der Stars, um endlich Klamotten wie Paris Hilton zu tragen) bildet Michael Bays „Pain & Gain“ sozusagen den triumphalen Abschluss der diesjährigen inoffiziellen American-Dream-Trilogie, die davon handelt, dass man sich sein Leben auf vielfältige Weise ruinieren kann, wenn man nur fest daran glaubt. Als Zuschauer empfindet man dabei so viel Vergnügen, dass man sich danach ganz schmutzig fühlt. Wie nach zwei Stunden Hanteltraining gilt auch hier: hinterher unbedingt duschen!